Der Geist und die Schreibmaschine

So das wäre geschafft, sie schreibt. Sie könnten sich fragen, wer "sie" ist, doch bezweifle ich das, denn wer fragt sich denn heute noch. Ach, Sie interessiert es! Welche Überraschung, es ist nämlich nur die Schreibmaschine mit einem neuen Farbband. Wer wechselt denn heute noch Farbbänder, heute schreibt man doch auf dem Computer. Naja, vielleicht bin ich eben ein altmodischer Mensch, der manchmal sogar noch mit der Hand schreibt und ab und zu eben auch auf dieser alten Schreibmaschine. Das Farbband war dringend notwendig, den das alte konnte ich den Herren und Damen Lektoren wirklich nicht mehr zumuten und Ihnen erst recht nicht. Die Tippfehler auf den folgenden Seiten bitte ich zu entschuldigen, ich hoffe es bleibt in einem lesbaren Rahmen.
Oh, entschuldigen Sie meine Unhöflichkeit mich noch nicht vorgestellt zu haben. Doch das gestaltet sich schwierig, denn ich bin nur ein Geist und Geister haben die Angewohnheit sich schwer fassen zu lassen. Kaum denkt einer er hätte mich erfaßt, dann habe ich mich doch sofort wieder seines Blickes entzogen. Was finden Sie an einem Geist so seltsam? Dürfen Geister nicht Schreibmaschine schreiben? Wollen Sie es mir etwa verbieten? Ich glaube, da hätten Sie so Ihre Probleme damit, denn erstens sind Sie gerade nicht da und zweitens sehen Sie mich nicht. Zu guter Letzt trage ich mich, wie Sie denn mir habhaft werden könnten. Sie können es nicht oder haben Sie die Macht einen Geist in eine Flasche zu sperren wie dies bei TausendundeinerNacht-Geschichten vorkam. Also bevor Sie mich einsperren, lassen sie mich bitte noch ein bißchen auf diesem Gerät. Wissen Sie zu meiner Zeit gab es solche Geräte und Apparaturen noch nicht und um Sie nicht zu erschrecken, sie können sich doch sicherlich an den Ausdruck ,altmodischer Mensch' erinnern, verbarg ich meinen Zustand, aber um nicht zu lügen, sagte ich vielleicht. Die meisten Menschen, wissen Sie, flüchten vor Geistern und das ist mir dann doch unangenehm. Ihnen scheint es nichts auszumachen, daß ein Geist schreibt. Sehen Sie - mich hat einfach die.. Idee gereizt, Ihnen einen Brief zu schreiben, doch leider weiß ich nicht, wie Sie heißen, doch soll Sie das nicht abhalten weiter zu lesen. Möglicherweise fasziniert Sie die Sichtweise eines Geistes. Ist Ihnen bekannt wie ich auf die Idee kam ausgerechnet Ihnen zu. schreiben? Verzeihen Sie, ich vergaß, daß Sie mir nie schrieben, sondern nur an den Herrn, der in denselben Haus wohnte und hier einen Brief vergessen hat. Leider ist der Brief, Ihr Brief, nicht mehr ganz. erhalten, sondern nur noch ein Rest, daher habe ich eben nur Ihre Adresse und wenige Sätze und einigen Schnick-Schnack, mit dem Ich nichts anzufangen weiß. Eventuell können Sie mich über diesen Schnick-Schnack aufklären, den zu meiner Zeit waren die Gepflogenheiten nicht üblich. Natürlich versahen wir damals Briefe auch mit einem Datum, daß Sie oben links unter die Adresse jenes Herrn setzten. Die Adresse und den Herrn möchte ich nun doch nicht nennen, denn Sie könnten ja beleidigt sein, daß er ihren Brief nicht sorgsam aufbewahrte und ich will niemanden in Mißkredit bringen. Achso, was wollte ich eigentlich, achja das Datum, tut mir leid, in meinem Alter wird man manchmal etwas vergeßlich. Also wir setzten zum aktuellen Datum den Ausdruck im Jahre des Herrn bzw. Anno Domini, Sie schreiben einfach, dann ein Komma und 2. Dezember 1991. Also daß der Dezember nicht der zehnte Monat ist, darüber brauchen Sie mich nicht aufzuklären, daß war schon zu unserer Zeit der zwölfte Monat des Jahres, aber auf was sich die Tausendeinhunderteinund neunzig Jahre beziehen wüßte ich schon gerne. Mich hat es mehr aus Versehen in diese Zeit verschlagen und ich hoffe natürlich, daß dies immer noch vom Jahre des Herrn ab zählt, dann könnte ich nämlich feststellen wie alt ich bin. Nicht daß das Alter eine Rolle spielt, aber ich wüßte eben doch gerne wie alt ich bin. Sie könnten mir wirk1ich einen großen Gefallen leisten, wenn Sie mich darüber aufklären würden. Das nächste Rätsel an Ihrem Brief war dieser Buchstaben und Zahlenwust, der mir nicht so recht einleuchten wollte. Ist das ein Geheimcode oder versteht den jeder Mensch der heutigen Zeit? Lange saß ich darüber und habe gerätselt was er bedeuten soll. Sie schreiben da hinter dem Datum: EP-c/28.
Mir kommen immer noch nur Fragezeichen über kein vernünftiger Sinn. Es mag sich der Sinn aus dem leider nicht mehr erhaltenen Teil des Briefes ergeben und das Rätsel wäre dann zu lösen gewesen, aber zu meines Bedauern war der Empfänger Ihres Schreibens zu unvorsichtig mit diesem. Sind Sie achtundzwanzig Jahre alt oder ist dieser Text nur die achtundzwanzigste Ausgabe oder Versuch? Stellt der ganze Begriff EP-c/28 eine Seriennummer dar? Es kann sein, und dann hätte ich Sie beleidigt, daß dieses Ihr Name ist. Dann bitte ich gnädigst um Verzeihung, denn ich wußte nicht, daß Menschen jetzt keine Namen in unserem damaligen Sinne tragen. Sollte es nicht Ihr Name sein, dann versinke ich wegen der Unterstellung, daß EP-c/28 Ihre Benennung sei, im Erdboden. Eines ist mir aus Ihrem Anschreiben bewußt geworden? daß es sich um einen Geschäftsbrief handeln müßte, denn es ist nicht der erste Brief der mir als Geist untergekommen ist. Allerdings war ich ein wenig verwirrt, da Sie mit "Lieber Herr" beginnen. Geschäftsbriefe, so meinte ich bisher, fangen doch gewöhnlich mit "Sehr geehrte Damen und Herren" an. Es wäre nett, wenn Sie auch diesbezüglich meine Verwirrung ein wenig beenden könnten. Dem nicht mehr ganz vollständigen Inhalt entnehme ich eine Ablehnung von mir leider nicht ganz Geläufigem im Schriftbild auch nicht vollkommen Erhaltenem. Es ist schwer diese Petzen in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen. Entweder handelt es Kurzes oder um eine Stelle. Was ist eine Stelle, werter Mensch? Mir waren Stellen bisher nur als Ortsbezeichnungen bekannt und eine Ortsbezeichnung ist zwar manchmal nicht zu verstehen, aber seit wenn kann man sie ablehnen. Doch auch hier kann ich mich ja geirrt haben, schließlich könnten Sie das Kurze abgelehnt haben. Zumindest bedanken Sie sich recht herzlich für das, was es auch immer gewesen sein mag. Sie erwähnten unter Anderem, daß es nicht von Ihnen gelesen wurde und legten Wettbewerbsbedingungen bei. Nun weiß ich weder, was Sie nicht gelesen haben noch was für einen Wettbewerb Sie damit meinten. Ist es ein Ritterturnier? Was für Wettbewerbe könnten denn in der heutigen Zeit ausgetragen werden? Handelt es sich um ein Wettsingen?
Sehen Sie mir meine dummen Fragen nach, aber ich kann nicht einmal mit dem Begriff Ausschreibung etwas anfangen. Heutzutage wird alles mögliche ausgeschrieben, was mir den Begriff auch nicht leichter erklärbar macht. Da erhielt jener Herr, dessen Namen ich nicht nennen möchte, doch eine Ausschreibung über einen Posten Fliesen. Ein anderes mal kam er mit einer öffentlichen Ausschreibung daher. Ihr Wettbewerb hatte für mich wenigstens das Gute, daß ich dadurch zu Ihrer Adresse kam, wodurch es mir als Geist erst möglich wurde mich mit Ihnen in Verbindung zu setzen. Doch auch hierbei bin ich gehindert, da mir nicht bekannt ist, worum es geht und wer hier gegen wen im Wettkampf steht und es ist mir nicht bekannt ob Geister daran teilnehmen dürfen, denn es könnte sein, daß Sie mit "Jede/r" nur Menschen meinen.
Seien Sie sich meines Dankes gewiß, wenn Sie mir auch darüber Auskunft geben. Natürlich ist dies ein wenig viel verlangt, denn ich weiß noch gar nicht wie Sie mir antworten sollen, da die Post aus Unkenntnis mir noch nie Briefe zugestellt hat. Sie ignorieren mich einfach, wie alle andern Menschen auch, derweil bin ich doch ein guter Geist und gedenke, nicht der Post zu schaden, wenn Sie mir auch nur einen Brief zustellt. Sobald ich eine Lösung dieses Problems gefunden habe, schreibe ich ihnen wieder und teile Ihnen meine Postadresse mit. Hoffentlich haben Sie dann die Antworten auf meine Fragen gefunden und den Brief an mich schon geschrieben, daß Sie ihn nur noch abschicken brauchen. Nun hoffe, ich auch, daß Sie mich nicht in eine Flasche sperren, falls Sie die Macht dazu haben und mich finden können. Es wäre zu schade darum, denn trotz aller Rätsel die ich in dieser Zeit begegne ist es doch ganz lustig hier herumzutollen. Ich verbleibe ihr freundlicher Geist und melde mich wieder, wenn mir eine Lösung zum Postproblem eingefallen ist.

[Zum Anfang
[Home]  [literaturlinks]  Gedichte  Copyright Arnold Schiller